Industriekultur in Mittelhessen
Die industrielle Entwicklung Mittelhessens beruht in erster Linie auf dem Reichtum an Eisenerzen, Bunt- und Edelmetallvorkommen, Marmor- und anderen Steinlagern und aus Mineralwasserquellen.
Im Lahn-Dill Gebiet besteht eine lange Tradition der Erzgewinnung und Metallverarbeitung, die bis in die vorrömische Eisenzeit zurück reicht. Hieraus entwickelte sich ein überregional bedeutender Eisenerzbergbau. Bereits im Mittelalter wurden aus über 1000 Gruben Erze gefördert und verarbeitet. Schon vor dem 15. Jahrhundert standen mehrere Hochöfen und Schmiedehämmer an der Dietzhölze, der Lahn, der Dill und anderen Flüssen und Bächen. Um 1860 waren im Lahn-Dill-Revier 22 Hochofenwerke mit 28 Hochöfen in Betrieb. Im Hinterland gab es in dieser Zeit 41 Bleierzgruben, 1 Braunkohlengrube, 297 Eisensteingruben, 88 Kupfererzgruben, 55 Manganerzgruben, 47 Nickelerzgruben, 1 Quecksilbergrube, 6 Silbergruben, 18 Schwefelerzgruben und 2 Zinkgruben.
Nach der Umstellung von Holzkohle auf Koksbetrieb spezialisierten sich die meisten Hütten auf Gießereibetrieb. Vor allem die Ofen- und Herdproduktion erlangte große Bedeutung. im 19. Jh. wurden 3/4 aller in Deutschland gekauften Öfen im Lahn-Dill-Revier erzeugt. Namen wie JUNO, ORANIER oder HAAS & SOHN waren europaweit bekannt. Schmerzliche Strukturkrisen überschatteten viele Branchen des Lahn-Dill-Reviers ab den 1960er Jahren. Gut überstand diese Werner Sell als damaliger Leiter der Burger Eisenwerke, der mit der Entwicklung von Flugzeugküchen auf einem krisenfesten Markt stieß. Andere Betriebe spezialisierten sich auf das Drahtziehgewerbe oder den Maschinenbau und agieren damit heute noch weltweit.
Im sog. „Hessischen Hinterland“ gab es außer Gold nahezu alle Metallvorkommen, die aber nur geringe Metallmengen lieferten. Immerhin konnten einige Silbertaler geprägt werden. Während der Autarkiewirtschaft wurde hier nahezu das gesamte in Deutschland erzeugte Nickel produziert. Eine Ausnahme bilden die von Friedrich Heusler von der Isabellenhütte 1903 entdeckten Metalllegierungen, die bis dahin unbekannte Eigenschaften aufwiesen. Durch die konsequente Weiterentwicklung dieser Heuslerschen Elemente entwickelte die Isabellenhütte Produkte, mit denen sie den Strukturwandel der Hüttenindustrie nicht nur überstand, sondern bis heute mit seinen speziellen Widerständen zu einem Hidden Champion und Global Player wurde.
Die wichtigsten Maßnahmen zur Anbindung der heimischen Industrie an die überregionalen Märkte war im 19. Jh. der Ausbau der Lahn als Schifffahrtsstraße und der Bau zahlreicher überregionaler und regionaler Eisenbahnstrecken. Erst durch die günstigen Transportmöglichkeiten gewann die Industrie des Lahn-Dill-Gebietes Anschluss an den nationalen Wirtschaftsraum, besonders an das Ruhrgebiet.
Auch andere Industrien nutzten die Ressourcen des Landes, wie die Mineralwasserindustrie in Selters, die Marmorindustrie an der mittleren Lahn, der Dachschieferbergbau und der Abbau von Diabasgestein, das im Bauwesen ein weites Anwendungsfeld findet. Andere bedeutende Branchen und Betriebe, wie etwa die optische Industrie in Wetzlar (Leitz, Leica) oder die bis nach dem Krieg bedeutende Tabakindustrie um Gießen nutzen die zur Verfügung stehenden günstigen Arbeitskräfte. Eine Ausnahme besonderer Art stellten die durch den Marburger Mediziner und Nobelpreisträger Emil von Behring mit seinem Preisgeld im Jahre 1903 gegründeten Pharmazeutischen Unternehmen dar, die heute über 5100 Mitarbeiter beschäftigt.
Daneben wurde die industrielle Entwicklung der Region maßgeblich von Unternehmerfamilien bestimmt wie Berkenhoff, Buderus, Jung, Grün, Haas, Heusler, Frank, Leitz oder Rinn, die tausenden von Mitarbeitern zu einem bescheidenen Wohlstand verhalfen. Der Bau von Wohnungen und anderen Sozialeinrichtungen gehörte für sie, von allem nach dem Krieg, zur Selbstverständlichkeit.
In dem tiefgreifenden Strukturwandel in den 1960er und 70er Jahren war der Bergbau der internationalen Konkurrenz nicht mehr gewachsen und wurde völlig aufgegeben. Von den Hütten überlebten nur die, die mit neuen und innovativen Produkten Marktlücken erschließen konnten oder mit hochentwickelten Produkten am internationalen Markt bestehen konnten. Eine Reihe von mittelständischen Unternehmen konnten sich auf Grund ihrer Spezialisierung eine führende Stellung auf dem Weltmarkt erobern und entwickelten sich zu einem Global Player. Im Bezirk der IHK Lahn- Dill gehören inzwischen 16 dieser Unternehmen zu dem Hidden Champions, den Weltmarktführern mit ihren Produkten.
Der Erinnerung an das industrielle Erbe Mittelhessens widmen sich die Internetseiten: industriekultur-mittelhessen.de und industriegeschichte-mittelhessen.de.